Arber Shabanaj - Shkrimtar-Cover

Neuerscheinung: Die vorgespielte Gerechtigkeit

Wuppertal-DE, den 25.01.2021

Geschätzte Literaturinteressierte,

es freut mich, Ihnen mein neues Buch vorstellen zu können: „Die vorgespielte Gerechtigkeit: Unsere Geschichte vom Überleben“, 268 Seiten, ISBN: 978-3-7531-4481-8, 15,99 €, soeben im Neopubli-Verlag erschienen.

Ich, Arber Shabanaj, geboren 1970 in Gjakovë, studierte Biologie und Jura. Meinen literarischen Weg begann ich mit dem Gedichtband „Die Küsse“ im Jahr 1985. Schon während meiner Schulzeit und danach wurde die schöpferische Arbeit zu meiner Wegbegleiterin, Freundin und Bekannten, und wir trennten uns bis zu meinem zweiten Lebensabschnitt kaum mehr voneinander. Ich bin ein Schriftsteller, der „die heiligen Wörter“ hinter sich lassen musste: Ich wurde aus meiner Heimat, dem Kosovo, vertrieben. Als damals 22-Jähriger hatte ich mich für die Unabhängigkeit des Landes eingesetzt, war von jugoslawischen Sicherheitskräften überfallen und gefoltert worden und emigrierte nach Deutschland.
Die deutsche Sprache zu erlernen und poetisch klingen zu lassen, ist nicht nur für deutsche Muttersprachler eine lebenslange Übung. Es ist erstaunlich, wie feinfühlig ich mit der erst im Erwachsenenalter erlernten deutschen Sprache umgehe. In der (Fremd-) Sprache meiner neuen Heimat habe ich mittlerweile mehrere Bücher veröffentlicht.

Mein Stil und meine Themenwahl sind hochinteressant. Ganz aktuell habe ich ein Thema bearbeitet, das uns alle betrifft und dabei ein Literaturprogram geschaffen, mit dem wieder neuer Schwung in unsere Branche kommen könnte. Diese liegt, wie wir alle wissen, gerade in einem „Dornröschenschlaf“ und meine Arbeit hat die Bestrebung, diesen ein Stück weit auf zu heben.

Lesestoff:

Ich bin Vater einer jungen Familie, der nur zusehen konnte, als uns die Rechte durch die Gerichte eines sogenannten Rechtsstaates ganz offensichtlich entzogen wurden, während wir noch bis heute mit den Folgeschäden leben müssen, die uns im Jahr 2011 in der damaligen vom toxischen Befall massiv kontaminierten Wohnung zugefügt worden waren.
Auf der anderen Seite haben die völlig inkompetenten und von den arglistigen Prämissen geprägten Mitarbeiterinnen der Landesfrauenklinik meinem zweiten Sohn – noch bevor er das Licht des Lebens erblicken durfte – den Halswirbelsäulenbereich verletzt, weil sie meine Ehefrau für eine Jüdin hielten.
Insofern gibt es in meinen fünf Tatsachenberichten, die in diesem Band festgehalten und zusammengestellt wurden, kein einziges Motiv, um etwas zu beschönigen. Darum bitte ich Sie um Verständnis dafür, dass unsere bewegenden Zeilen den Leidtragenden dieser Unbekümmertheit – unseren betroffenen Kindern – gewidmet sind. Man sollte sich selbst folgende einfache Frage dazu stellen: Was würde man tun, wenn die eigene Familie, insbesondere die eigenen Kinder, von den vorliegenden Animositäten betroffen gewesen wären? Ich hoffe, dass sie vor Ihrer fachkundigen Beurteilung Bestand haben und Sie mich bei meinem Sachbuch, in dem ich dem Antisemitismus und dem offensichtlichen Hass (Tatsachen, die sich bedauernswerter Weise selbst im Deutschland des 21. Jahrhunderts allmählich intensivieren) entschlossen widerspreche, unterstützen. Denn darin geht es um die Erschütterung der Grundwerte unserer Demokratie.
Unseren Kindern wurden die elementarsten Rechte – 1. „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ (Artikel 1 GG) und 2. „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“ (Artikel 2 GG) – ganz offensichtlich verwehrt und entzogen. Als Vater von zwei betroffenen Kindern sehe ich mich dazu verpflichtet, diese Tatsachenberichte ans Tageslicht zu fördern. Zugleich verleihe ich hiermit, konform mit den Grundrechten – Informationsfreiheit und freie Meinungsäußerung (Artikel 5 GG Abs. 1 Satz 1 2. Alt. GG; „Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung“ und Artikel 11 EMRK) -, nur dem Ersuchen meiner jungen betroffenen Familie Ausdruck.

Leider kann ich Ihnen das Buch aufgrund der gegenwärtigen Pandemie nicht öffentlich vorstellen. So bleibt es einstweilen bei diesem Hinweis. Damit Sie wenigstens eine ungefähre Ahnung bekommen, was Ihnen da entgeht, hänge ich das Exposé sowie eine Begebenheit meines aktuellen Werks unten an.

„Die vorgespielte Gerechtigkeit: Unsere Geschichte vom Überleben“ – Neopubli-Verlag, Berlin – 08.01.2021, 268 Seiten, ISBN: 978-3-7531-4481-8, 15,99 €. Das Buch ist über Buchhandel.de (Thalia, Amazon) bestellbar und wird hiermit wärmstens empfohlen! Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Ihr Arber Shabanaj

Das Exposé zu meinem Buch mit dem Titel „Die vorgespielte Gerechtigkeit: Unsere Geschichte vom Überleben“

Als ich im August 1991 als Vertriebener nach Deutschland kam, ließ ich politische Anfeindungen, Ungerechtigkeiten und Demütigungen, die ich in meiner Heimat erfahren musste, hinter mir.

Direkt bei meiner Ankunft in der Bunderepublik Deutschland waren mir als Jurist und als Dichter folgende Wörter in Erinnerung geblieben: „Tagesschau“ und „Lindau“. Das waren zugleich auch die ersten beiden deutschen Ausdrücke, die ich in der Ankunftszeit lernte. Man möchte vielleicht dazu die Frage stellen, warum gerade diese zwei Terminologien? Ganz einfach, weil sie sich so faszinierend reimten.

Ich erinnere mich noch sehr genau an den Umgang der weniger befugten Körperschaften (unter ihnen Beamte, Kommissare, Gesetzeshüter, sehr wohl auch „hochangesehene“ Rechtsanwälte und andere) in meiner Ankunftszeit, in der ich in ständigem Kontakt mit Ämtern und Institutionen stand. Sie antworteten mir „Ich verstehe kein Französisch.“, wenn ich mich auf Englisch, der hier gebräuchlichen Fremdsprache, mit ihnen unterhalten wollte. Logischerweise konnte ich die deutsche Sprache nach zwei, drei Monaten nach meiner Anreise noch nicht für die barrierefreie Artikulation einsetzen.

Ich kam in einen Rechtsstaat, in dem die „Würde des Menschen“ als unantastbar gilt, wie es Artikel 1 des Grundgesetzes aussagt und in dem alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. Hier in meiner „neuen Heimat“ würde es mir besser ergehen, so dachte ich.

Damals war ich von diesen Vorstellungen überzeugt, mir kamen jedoch im Verlauf meines Lebens in diesem Staat in einigen Fällen starke Zweifel und ich wurde auch sehr enttäuscht. Die Erlebnisse, die diese Zweifel und Enttäuschungen verursachten, habe ich in fünf Tatsachenberichten festgehalten, die in diesem Band zusammengestellt wurden.

Einmal handelt es sich um die schrecklichen Erlebnisse bei der Geburt meines Sohnes. Mein inzwischen achtjähriger Sohn leidet noch heute an den Nachwirkungen der in der Klinik gemachten Fehler, die jedoch keiner der Beteiligten je zugeben würde.

Erschreckend war für mich zudem, welchem Stress Kinder im Alter von vier Jahren, in diesem Land ausgesetzt werden, bevor sie Schule und Unterricht kennenlernen konnten. Bei Kindern, die sehr wohl mit der deutschen Sprache vertraut sind, wird der sogenannte „Sprachstand“ (Deutschsprachkurs) überprüft. Die noch nicht schulpflichtigen Kinder werden somit einer Prüfungssituation ausgesetzt, der sie möglicherweise psychisch überhaupt nicht gewachsen sind.

Die Geschichte „Die vorgespielte Gerechtigkeit“, die diesem Band den Titel gibt, befasst sich mit dem Leben und Arbeiten von Schriftstellern und trägt autobiografische Züge. Sonach muss zum Beispiel ein talentierter Schriftsteller als Maler und Lackierer tätig sein, während sein einheimischer Kollege als Schreiber in der Bevölkerung anerkannt ist und zu Parteiversammlungen eingeladen wird. Das ist kein Einzelschicksal, denn ein Ingenieur ist als Mauerhelfer tätig, ein Oberbefehlshaber sammelt jetzt als Leiharbeiter den Baustellenmüll ein und auch ein Mikrobiologe befindet sich unter den Handwerkern auf der Baustelle.

In dem 4. Teil des Buches geht es darum aufzuzeigen, wie schwer beziehungsweise unmöglich es sein kann, berechtigte Forderungen vor einem deutschen Gericht einzuklagen. Ich habe den ganzen Prozessverlauf mit den erforderlichen Hintergrundinformationen zusammengestellt, so dass der Leser einen umfassenden Eindruck gewinnen kann.

Im Mittelpunkt der Geschichte „Das Porträt“ stehen die Sorgen und Nöte einer Vertriebenenfamilie, die in Deutschland erleben muss wie sie durch bürokratische Maßnahmen, welche denjenigen imponieren, die in ihrem Herzen ein deutschsein für sich reklamieren und die anderen abschotten wollen, schikaniert wird.

Bei genauer Betrachtung muss man leider feststellen, dass nicht die „Stärke des Rechtes“, sondern das „Recht des Stärkeren“ siegt. Und es wird sicher auch verständlich, warum ich meine Überzeugung hier in einem Staat zu leben, in dem das Recht eines jeden Menschen Berücksichtigung findet, zumindest teilweise revidieren musste.

Hochachtungsvoll,

Arber Shabanaj

– Leseprobe –

DAS PORTRÄT

Im Stadtbüro palaverte jemand und beleidigte fortwährend den Bürgermeister höchstpersönlich. Agron Iravosok stand hinter der Tür des Bürgermeisterbüros und schaffte es in allerletzter Not, sich zu beherrschen. Er wollte seinen Ohren nicht trauen, was er an diesem Julinachmittag mit anhören musste.

Er kannte Herrn Grünewald seit Jahren. Als er erfahren hatte, dass dieser zum Bürgermeister gewählt worden war, war Agron unbeschreiblich glücklich gewesen.

Agron war davon überzeugt, sollte er von ihm keinen geeigneten Wohnraum bekommen, müsste er noch ewig im Asylbewerberheim bleiben. Dort, wo das Abfluss- und Sanitärfahrzeug der Kommune wie so oft erst dann kam, wenn das Kanalisationsrohr bereits geplatzt war. Eine schwarze, verfaulte Flüssigkeit drang dann durch die Fugen der pilzbefallenen Bodenbretter.

Es kam, wie er es geahnt hatte. Gerade mal einen Monat war Herr Grünewald Bürgermeister, als er zusammen mit Vertretern der zuständigen Flüchtlingskommission Agron und seine Familie im Asylbewerberheim besuchte.

Er kann sich noch ganz genau erinnern, wie sie den eingezäunten Garten des Heimes betraten. Die vielen Rosen, die einer ultrastolzen Meereswelle ähnelten, strahlten Lebendigkeit aus und verbreiteten ihren Duft. Hier tankten Agron, seine Ehefrau und seine Tochter fast jeden Nachmittag ein wenig Motivation und Zuversicht. Doch was nützte ihnen das, denn sobald es Abend wurde, mussten sie sich wieder in ihre Fäkalienhütte einschließen, dort, wo jeden nur Übelkeit heimsuchen würde.

Die Hausmeisterin war gerade dabei, mit dem Hauspantoffel nach einem von ihren kleinen Findelkindern zu werfen, weil es zuvor über einige Blumenblätter Pipi gemacht hatte. Die Frau kam ursprünglich aus Schlesien und sprach ein sehr unattraktives Deutsch, oder eigentlich eher Polnisch. Sie war jedoch längst eingebürgert worden, da sogar die kleinste Laus auf ihrem Hof in Schlesien deutsch war. Laut dieser Hausmeisterin, die damals in ihrer Heimat auf einem Bauernhof gedient haben will, hatten der gesamte deutsche Stolz und alle Kultur ihre Wiege in Schlesien, und nur dort.

Die Autorisierten der Stadt lachten mit dem Kleinen, der versuchte, sich in ihrem Beisein nicht zu schämen und sein Urinorgan nach dem Gießen wieder zurückzustecken.

Sie kamen nun und tankten reichlich Luft, die durch den schönen Duft der vielfältigen Blumen gespendet wurde.

Sobald sie den Raum betreten hatten, in dem Agron samt Familie lebte, musste ein Mitglied der Flüchtlingskommission drei Mal hintereinander niesen. Einem weiteren, der etwas auf einen Block notierte, rutschte ein Wort heraus, er sagte: „Mist“. Ein weiterer …

Bei diesem Besuch fühlte sich Agron Iravosok plötzlich jung und stark und nicht wie ein Mann von 50 Jahren. Oh Gott, er wird ein Zuhause bekommen! Er hatte den Eindruck, dass Worte, die fielen, und Zeichen, die zwischen den Teilnehmern der Flüchtlingskommission ausgetauscht wurden, ihn hoffen lassen könnten, dass alles gut werde.

Doch gleichzeitig überkamen ihn auch Ängste, es könnte jemand wie aus dem Nichts auftauchen und ihm wieder Steine in den Weg legen.

Er schwankte zwischen Hoffen und Bangen, mal fühlte er sich jung, dann fühlte er sich alt. „Eh, wie der Mensch ist“, dachte er, „mal Löwe, mal Hase“.

Und recht hatte er, es wurde von allen Seiten viel gesprochen, es gab nichts, über das nicht geredet wurde. Für ein Apartment, mit einem Raum und einer Küche ausgestattet, würde er sehr viel Geld ausgeben müssen, mit zwei Räumen und einer Küche noch mehr. Doch, was sollte er geben, das Ungeziefer aus dem Keller?

Er hatte weder das Recht noch die Mittel, seinen einzigen Verwandten in knapp zwanzig Kilometern Entfernung mal zu besuchen, weil dafür regelmäßig eine Besuchserlaubnis nötig war, um den Landkreis verlassen zu dürfen! Seit sechzehn Jahren lebte er in Deutschland, und seine Jahre schmolzen dahin. Er, auch mit dem Potenzial, fehlerfreies Deutsch und Englisch zu artikulieren, hatte bis heute noch keinen Aufenthaltstitel.
Der frühere Bürgermeister war nicht gut gewesen, sein Nachfolger nicht besser.

Agron Iravosok hatte Jahre hinter sich, in denen er gehofft hatte, man kümmere sich um eine Wohnung für ihn und seine Familie. Jahre, in denen Versprechungen gemacht worden waren, ihm ein Apartment mit einem separaten Eingang zu gewähren. Jahre, während sie mit ihm und seiner Familie Katz und Maus gespielt hatten. Geschehen aber war nichts.

Und während die Zeit verging, spürte er, wie auch seine Tochter, eine junge aufstrebende Frau auf der Suche nach Verantwortung und Glück, keine Chance ihr Leben selbstständig zu gestalten hatte und sich mit der Situation abfinden musste.

„Blumen verblühen, Menschen sterben“, dachte Agron bei sich und zitterte. Er spürte den Schmerz darüber in seinem Herzen, auch jetzt, als er sich daran erinnerte.

Nun saß er zusammen mit seiner erkrankten Frau auf den Stühlen des Rathauses, wartete und musste die endlosen Beleidigungen des Stadtmenschen mit anhören. Dabei war er geschockt, was einem normalen Bürger dieses Landes gewährt wird – demjenigen, der der deutschen Sprache nicht einmal ausreichend mächtig ist, demjenigen, der mehr besoffen als nüchtern vorzufinden ist, demjenigen, der es wagt, den Bürgermeister persönlich zu beleidigen.

Aber er, Agron Iravosok, der seine gesamte Wut bisher innerlich festgehalten und allen Grund zum Abladen der ganzen Last gehabt hätte, blieb stets ruhig und schwieg. Er war sein Leben lang ein fleißiger Arbeiter gewesen, lebte schon sechzehn Jahre in dem Raum isoliert, während andere neue Wohnungen bekamen und sich breitmachen durften und sogar separate Kinderzimmer und wer weiß was noch alles hatten.

Er selbst hatte noch nie jemanden beleidigt, mit dem Staat geriet er nie in Konfrontation: Sechzehn Jahre Asylbewerber, er und seine Familie waren nicht einmal im Besitz einer Arbeitserlaubnis.

Den Landkreis wollte er wegen der bereits bekannten Gründe kaum verlassen. Außerdem sprach er ein exzellentes Deutsch und unzählige längst eingebürgerte Protagonisten, die meisten slawischer Herkunft, beneideten ihn sehr, wenn sie ihn sprechen hörten.
Als diplomierter Jurist lebte er von „Gutschein-Karten“. Als das Sozialamt von ihm verlangt hatte, einem „Ein-Euro-Job“ nachzugehen, war er vergangenes Jahr, während er für die Stadt arbeitete, aus sechs Metern Höhe gestürzt und hatte sich dabei schwer verletzt.

Seine Ehefrau, ohne jemals krank gewesen zu sein, musste wegen der erlebten Metamorphosen und Odysseen regelmäßig zum Neuropsychiater. Denn nur dank des Gutachtens eines Fachmannes verringerte die Ausländerbehörde den Druck, war gnädig und bewilligte eine weitere dreimonatige Aufenthaltsverlängerung.

Der Tochter, die das Gymnasium mit besten Noten abgeschlossen hatte, wurde ein Stipendium für das Studium versprochen.

Jetzt bewegte sich auch etwas in Sachen Wohnung. Sollte es in der Tat der Fall sein, nichts Weiteres als das wollte Agron Iravosok.

Nun sollte es danach gehen, wie es geheißen hatte, dass für eine Wohnung so und so viel nötig wäre – Unsinn! Nicht einmal Kaffee hatten die von der Kommission getrunken, als sie ihn in seinem Ambiente besuchten, und auch nicht ein einziges gutes Wort hatten sie für ihn gehabt.

Eines Tages wurde davon gesprochen, dass er eine Wohnung in der neuen Siedlung, genau in dem Stadtzentrum, bekommen würde. Alles drehte sich nun um die zukünftige Wohnung. Mal kam ihm das ganz normal vor, ganz selbstverständlich, doch dann auch wieder außergewöhnlich.

„Letzten Endes“, sagte er einmal zu seiner Ehefrau, „ich habe es mir verdient. All die Jahre habe ich weder dem Staat noch dem Amt das Herz gebrochen, ich habe sie nie enttäuscht. Dem `Ein-Euro-Job´ bin ich ebenfalls regelmäßig nachgekommen. Nie habe ich schwarz gearbeitet. Einer normalen Arbeit durfte ich die gesamten Jahre nicht nachgehen, mangels Arbeitserlaubnis. Warum einem wie mir dann eine Wohnung verwehren?“

Wer stand auf der Straße überhaupt schlechter als er da? Und wer hatte überhaupt ein einziges Argument, um über ihn Schlechtes zu reden?
„Hör auf mich, Agron“, empfahl ihm eines Tages sein Arbeitskollege, während Agron für die Stadt für einen Euro diente, „spar etwas Geld und mache dem Bürgermeister ein Geschenk. Das tun sie alle …“

Doch Agron Iravosok gab nicht auf. Außer an einem Abend – etwa gegen Mai, während die Forelle am See wild herumschlug. Da sagte er „Zum Teufel mit dem Schlaf“ und lieh sich die Angelausrüstung von seinem Freund aus und schaffte es, eine gut vier handbreit große Forelle zu fangen.

Sehr schüchtern und mit Angst im Herzen brachte er sie an dem kommenden frühen Morgen dem Bürgermeister vorbei. Seine Sekretärin tat so, als ob sie Agron Iravosok nicht kennen würde. Das irritierte ihn. Er wusste nicht, wie er es ihr sagen sollte, und als ob seine Sätze von einem Krampf heimgesucht worden wären, blieben sie ihm in der Kehle stecken.

Doch sie, leise und nett, steckte den Finger in die Forelle, wie ein Haken der Angelschnur, mit dem Agron die knallroten Futtermembranen der Forelle durchquert hatte, um sie zu überprüfen.

Ohne „Herzlichen Dank für Ihre Mühe“ zu sagen oder ihm wenigstens eine Tasse Kaffee anzubieten, neigte sie den Kopf leicht als so etwas wie ein gedachtes Dankeschön-Zeichen. Anschließend knallte sie ihm die Tür beinahe vor der Nase zu.

Eine große Unruhe hatte Agron Iravosok in sich, als er an die Bürotür des Bürgermeisters klopfte, mit der berühmten Forelle in der Hand, doch noch größer wurde diese, als er sich von dessen Büro entfernte.

„Oh Gott“, dachte er, „doch wenn der Bürgermeister Grünewald den Asylantrag und das Attest des Neuropsychiaters von meiner Ehegattin nicht anerkennen würde? Doch wenn …?“

Natürlich rührte sich nichts, während Agron Iravosok vor der Tür des Amtes wartete, um die Bestätigung über die neue Wohnung ausgehändigt zu bekommen. Dass er eine neue Wohnung bekommen würde, das war allerdings hundertprozentig sicher.
Die Ernennung des Bürgermeisters Grünewald und die Versammlung mit den Zuständigen hatten dazu beigetragen, dass Mann und Frau zusammenleben konnten. Doch diese separate Einladung beim Amt schien Agron Iravosok ein wenig zu verletzen.

Fast Tag für Tag gingen sie hin, um das neue Haus zu bestaunen, dort, wo die Maler dabei waren, den letzten Anstrich anzubringen. Hier ist das Wohnzimmer, hier die Kochnische. Zugleich ist das hier auch das Schlafzimmer. Die dritte Etage. Sehr anziehend. Im Sommer endlich mal frische Luft und sauberes Wasser, ganz ohne Fäkalien!

Auf eine besondere Art war die einzige Tochter des Agron Iravosok fast außer sich vor Freude. Sie hatte dafür Tausende von Gründen. Doch insbesondere und vor allem wäre sie jetzt dazu in der Lage, ihre Freundinnen in einer angenehmen Umgebung zu empfangen und ihnen eine gute Gastgeberin zu sein. Nicht so wie bis heute, wo sie ihre Freundinnen selbst zu ihrem Geburtstag nicht, kein einziges Mal, hatte einladen können. So hatte sie auch ihre engste Freundin, Arberia, abgelenkt und ihr gesagt, dass sie im Juli Geburtstag hätte. Und zwar genau dann, wenn Schulferien waren und die Schulglocke die Schüler nicht mehr zusammenbrachte …

Wenn du sie an den Tagen gesehen hättest, während sie auf die Schlüsselübergabe für die neue Wohnung warteten. Sie arbeitete mit der Mutter zusammen, bis es sehr spät wurde. Vor lauter Schimmel und Ungeziefer konnten die bisherigen Gardinen nicht benutzt werden. Die zwei schafften es in aller Not, eine neue Gardine zu kaufen. Eine dafür geeignete Gardinenstange fanden sie im Sperrmüll. Ein freundlicher Nachbar, der finanziell deutlich besser als sie gestellt war, hatte ihnen ein Sofa als Geschenk zugesagt. Drei Gemälde kaufte Agron auf dem Flohmarkt. In der Tat, bloß ein Raum und eine Kochnische waren es, dennoch im Vergleich mit dem, wo sie bisher waren, dachten sie, sie befänden sich in einem Traum.

So oft sie gingen, um die Wohnung zu sehen oder etwas zu messen, tanzte die Tochter fast. Und jetzt, als ob er sie zum ersten Mal sehen würde, wirkte die Tochter des Agron Iravosok noch erwachsener, noch weit offener, genauso wie die Blume, wenn sie aus dem Schatten geholt und in die Sonne gestellt wird.

In dem bisherigen dunklen Raum, in dem sie noch nicht einmal gelacht hatte, bewegte sie sich jetzt wie ein Schmetterling. Diejenige, die so still gewesen war, mischte sich jetzt, ohne zu zögern, in Gespräche ein, auch mit der Schneiderin, auch mit den Malern.

Doch auch Agron schien an jenen Tagen, als ob seine Zunge sich lockerte, und das merkte er selbst genauso gut, ohne dass es ihm jemand sagte. Derjenige, der acht Stunden seinen Verpflichtungen nachgegangen war, ohne einmal dabei zu irgendeiner Tätigkeit „Nein“ zu sagen. Derjenige, der so viel wie ein „Tauber“ sprach.

Seitdem sie ihm die Bestätigung über seine neue Wohnung im Zentrum gegeben hatten, bedankte er sich regelrecht bei der Kommune und bei dem Land öffentlich und intern, sodass jemand aus der Nachbarschaft unter seinem „Säuferbart“ lächelte, als er ihn hörte und dabei Agron Iravosok als eine Marionette bezeichnete.

Vorgestern, als er seinen Umzug mit dem Sprinter seines Bekannten erledigte, schenkte die Hausmeisterin des Asylbewerberheims ihm eine Vase mit einer Viola, die gerade blühte. Seiner Tochter sagte sie, sie solle sie auf die Fensterbank des Zimmers stellen, da auf der Bank Platz und vorzugsweise Licht genug wären. Die Hausmeisterin bat sie drei Mal darum, die Viola ans Licht zu stellen.

Agron Iravosok sah die Ehefrau und Tochter zum ersten Mal in einer Wohnung, bisher hatte er sie in dem Raum-Knast, wo sie lebten, nur im Halbdunkeln gesehen. Regelmäßig im Lichtschatten. Heute aber …

Wenn alle Sachen geordnet sind, wird er sich trauen, seine Verwandten endlich nach so vielen Jahren einzuladen. Alles drehte sich in Agron Iravosoks Kopf, jetzt, wo er dort stand und darauf wartete, in das Büro des Bürgermeisters einzutreten.

Letztendlich ging die Streitigkeit im Büro zu Ende und Agron konnte die Stimme des Bürgermeisters hören, der sagte: „Komm jetzt, stell dir vor, ich habe nichts gehört, hier eine Zigarette, bitteschön …“

Agron Iravosok schüttelte den Kopf. Er wollte nicht glauben, dass sich der Bürgermeister erneut auf solche derbe Beleidigungen einließ und weich und kuschelig dem anderen schließlich den Schwanz streichelte.

Mit seiner Ehefrau hatte Agron darüber eine Nacht zuvor gesprochen. Für die Wohnung hatte der Bürgermeister von ihnen nichts verlangt, jedoch sollte man ihn nicht ganz „ohne“ lassen. Da letzten Endes die Tochter bald mit der Schule fertig sein würde, wäre das Stipendium erforderlich.

Außerdem, auch die Menschen, als ob sie eins wären: Alle wunderten sich, wie Agron Iravosok, ein „Stück Arbeiter“ und ein Asylant, es bloß schaffte, die Wohnung in den Griff zu bekommen. Weder im Erdgeschoss noch in der fünften Etage, wo üblicherweise die älteren Menschen, Slawen und Rotationsmenschen wohnten, sondern in der dritten Etage. Und das Ganze quasi ohne …, selbst einen Kaffee hatte er dafür nicht ausgeben müssen!

Agron stand auf. Den Raum, in dem die Städtischen warteten, betrat der Teamleiter des Sozialamtes, Herr Slawa.

„Guten Abend, Herr Agron!“

„Guten Abend, Herr Slawa!“

„Wartest du schon lange?“ [Autor ergänzt (I): Er wird zunächst mit dem Nachnamen angesprochen und dann geduzt! Das ist die wörtliche Rede des Teamleiters …]

„Nein, eine Stunde.“

„Na dann, gut …“

Slawa betrat, ohne zu klopfen, das Büro, in dem der Bürgermeister wartete, während Agron sich die Frage stellte, woher Slawa wusste, dass er von dem Bürgermeister eingeladen worden war. Egal, er hatte keinen Grund, unruhig zu werden. Slawa und den Bürgermeister sah er schließlich regelmäßig zusammen.
Sobald Slawa eingetreten war, verließ derjenige, der sich mit dem Bürgermeister gestritten hatte, den Raum. Die Bürotür blieb offen und Agron stand auf, in der Erwartung, dass sie ihm den Eintritt anbieten würden.

In der Tat, sie hatten ihn nicht eingeladen, mit seiner Ehefrau zusammen zu kommen, doch er dachte, es wäre sicher viel besser, zu zweit dort zu sein.

Warum hatten sie ihn eingeladen?

„Über wen wurde entschieden, zu der Familie Agron Iravosok geschickt zu werden?“, hörte Agron leise die Stimme des Bürgermeisters, der den Teamleiter des Sozialamtes, Herrn Slawa, fragte.

„Sie werden Frau Korçula Nictylemann dort hinschicken …“

Agron Iravosok zitterte. Er zitterte und schaute seiner Frau direkt in die Augen. Doch er erlitt keinen Schock. „Keine Ahnung hat die Arme!“, sprach er einfach so mit sich selbst. Einfach so nahm er sie mit.

„Doch Frau Korçula Nictylemann was für eine war sie?“, fragte sich Agron und hob seine Blicke hoch über den Eingang, da wo alle Porträts der eminenten Mitglieder der Reihe nach angebracht waren. Sie war die einzige Frau unter ihnen. Sehr selbstbewusst und kompetent wirkte sie. Sicherlich werden sie sie zum kommenden Fest zu Besuch bei ihm in die neue Wohnung schicken.

„Komm, Herr Agron Iravosok, komm!“

Agron knetete seine Mütze in der Hand zusammen. Slawa schaute ihm mit einem freundlichen Blick entgegen.

„Hast eine Wohnung bekommen, Herr Agron?“, fragte er.

„Jawohl, Herr Slawa.“

„Schöne Wohnung, glaube ich.“

„Wir hatten es sehr schlecht, Herr Slawa. Das kommt mir wie ein Traum vor. In der Tat, nur ein Raum mit Küche, doch in einem Kellerraum haben wir uns Jahre lang aufhalten müssen, im Dreck und im Dunkeln.“

Herr Grünewald und Slawa schauten sich an.

„Wenn wir das Licht der Tatsachen zu sehen schaffen, Herr Agron, dann haben wir alles …“

„Genau so ist es, Herr Slawa, genau so, dem Licht verdanken wir auch unser Leben.“

Slawa knackte die Finger, wie es üblicherweise Männer in Mordfällen taten.

Agron begriff das auch, aber er verstand wiederum auch nicht, was hier los war und warum sie ihn eingeladen hatten. Letzten Endes, jetzt konnte er wohl jedem herzlich willkommen sagen, selbst einem Minister.

„Du weißt, Herr Agron, dass der 3. Oktober vor der Tür steht.“

Wie soll Agron es nicht wissen? Selbst wenn er es vergessen haben sollte, Radio Gypparrtall machte jeden Morgen seinen Job. Sogar die neue Wohnung wurde ihnen kurz vor dem 3. Oktober gegeben.

Agron schüttelte den Kopf.

„Letzten Abend sind wir in einer Amtssitzung zusammengekommen. Alle Menschen sagten, dass du, Agron Iravosok, zu uns gehörst und außerdem sehr stark integriert bist.“

„So ist es, Herr Slawa, genau so.“

„Selbst wenn du Agron heißt, hast du dich sehr gut angepasst?! …“
„Ich kann auch Heinrich Fliegenschiss heißen, wenn Sie mir einen neuen Namen geben möchten. Dahingehend sollten Sie dennoch wissen, dass der typische deutsche Name wie Kazimir-Zemaljak Parraçin nicht bei jedem Bürger dieses Landes verstärkten Anklang findet. Also, ich habe alles für Sie getan, ich bin hier und stehe vor Ihnen …“

„Und für die Gegend im Zentrum, zum Fest, hatten wir dafür zwei Mitglieder, den Vorsitzenden und Frau Korçula Nictylemann …“

„Im Übrigen, hat Ihre Frau jetzt ein neues Attest?!“, fragte Slawa unerwartet.

„Jawohl, Herr Slawa, hat sie …“

„Unabhängig davon, sie hat hier keinen Sprachkurs belegt! Ihre Abschiebung ist noch in der Bearbeitung. Du, Agron, mit deiner Tochter, ihr dürft vorerst hier in Deutschland bleiben! … Und ich empfehle Ihnen, Ihre Ehefrau sollte die Abschiebung freiwillig akzeptieren. Denn nur so wird ihr eine erneute Einreise nach Deutschland bewilligt. Vorher aber muss sie in dem `Kikiriiikuuu´ einen Deutschkurs belegen! …“ [Autor ergänzt (II): Jetzt siezt Herr Slawa ihn wieder! Das ist die wörtliche Rede des Teamleiters. Vor dem Hintergrund ist das wechselnde Siezen und Duzen nachvollziehbar …]

„Sie spricht doch ausgezeichnet Deutsch! Ich habe auch keinen Deutschkurs absolviert und … Dabei stehen einem aber häufig die Haare zu Berge, wenn man einige sogenannte ‚Fachärzte‘, beispielsweise für Radiologie, Orthopädie und andere, reden hört. Denn diese sind der deutschen Sprache kaum mächtig und stammen ursprünglich aus mächtigen slawischen Ländern. Der Staat kann und darf solchen Protagonisten keinen hochwertigen Sprachkurs andrehen, weil sie nun einmal den mächtigen Völkern angehören. Zumal die deutsche Sprache ganz bestimmt nicht an meiner Ehefrau scheitern wird.“

„Gesetz ist Gesetz!“

„Es kommt einem so vor, als ob die Regierung, durch angesammelte Vorurteile und Wut, willkürlich an Menschen handelt, die ursprünglich kulturvollen und friedlichen kleineren Völkern angehören. Nach dem Motto: ‚Vor lauter Angst vor dem Esel, tritt man wenigstens erbarmungslos auf dessen Sattel‘ …!“

Das war die Leseprobe aus meinem Sachbuch „Die vorgespielte Gerechtigkeit: Unsere Geschichte vom Überleben“